Wir sind auf der M 51 – in Sibirien. Schon alleine das Wort bewegt einiges im Kopf. Sibirien. Kälte, Armut, Tristes und Einsamkeit. Letzteres stimmt. Endlose Straßen – wir fahren wie in Trance. Der Himmel ist blau – mal 18 mal 25 ° – es rollt. Hin und wieder reißt uns eine kleine Baustelle aus der Monotonie. Kurz runter vom Gas – leichte Schlenker und weiter geht’s Richtung Omsk. Das Ziel werden wir heute wohl nicht erreichen – denn es sind immerhin über 800 km. Wir fahren an kleinen Siedlungen vorbei – die Leute an der Straße winken – und jedes Mal, wenn wir langsamer fahren, schauen sie so, als würden wir nackt auf einem Fahrrad durch die Gegend fahren. So ist das schon seit ein paar Tagen. Sicher, man kennt hier auch Motorräder – aber solche wie wir fahren – hat man hier wohl noch nie oder aber sehr selten gesehen. Jedes Mal, wenn wir anhalten, kommen sofort die Menschen und schauen auf das Nummernschild. „Ah – Germania!“ ist immer die erste Feststellung. Danach folg oft „Вы герои „ – auf deutsch „Ihr seid Helden!“ – weil wir den langen Weg auf zwei Rädern aus Deutschland kommen – macht uns ja doch ein wenig stolz !
Tankstopp. Wir treffen „Was“. Was ist ein kleiner, lustiger Russe. Als wir auf seine Tanke fuhren, guckte er schon sehr interessiert. Es dauerte keine 5 Minuten – da kam er uns lautstark entgegen. Erst umarmte er Andreas – als hätten die zwei sich 10 Jahre lang nicht gesehen – dann war ich dran. Die selben Fragen, ja wir sind Helden ! Er wollte unbedingt mit uns fotografiert werden – also „klick, klick, klick“.
Was quoll über vor Freude. Ich glaub er hätte uns auch seine Frau und Kinder anvertraut. Manchmal sind die Russe – und dann richtig – herzensgute Menschen. Haben aber auch zwischendurch Menschen getroffen, die gehen nicht nur in den Keller zum Lachen – die leben da – den ganzen Tag. Nicht – kein Grinsen, kein Zucken der Lippen – kein freundliches Wort. Manchmal hatten wir das Gefühl als zahlender Gast einfach nur zu stören. Aber, wie gesagt – die Ausnahmen machen das Leben schön.
Die Tanke selbst sah aus wie aus den 60ger Jahren. Neonreklame – ein wenig Amerikanisch und zerfallen. Nach einer Zigarette gings weiter – die Sonne im Rücken, den Schatten des Bikes vor sich auf dem Asphalt – Richtung Omsk.
Die Siedlungen flogen an uns vorbei. Manchmal nur aus 20 – 30 Häusern bestehend. Zwischen uns und ihnen oftmals ein Friedhof. Wer die Siedlung in seinem Leben nicht verlassen kann, zieht irgendwann näher an die Straße. Hin und wieder verfolgte uns ein Hund – hatte er wohl Langeweile oder verteidigte er sein Territorium ?
Ich habe einige Dinge in den letzten 13 Tagen gelernt. Erstens: Geduld. Zweitens: Demut. Drittens: Den eigenen Anspruch weglassen. Hier gelten andere Gesetze – andere Regeln.
Andreas und ich fuhren ewig lange, ohne dass uns ein Auto entgegen kam oder uns überholte. Wir rollten zur Grenze von Kasachstan. Da würden wir zwar Russland Richtung Omsk verlassen können, die Kasachen würden uns auch wieder rauslassen aber die Russen nicht mehr rein, weil wir kein neues Visum haben. Also wurde Kasachstan im Norden umfahren. Dann wurde es richtig spannend. Eine leichte Kurve und dann lag sie vor uns – die 10 km lange … ja, was soll ich sagen – Straße ? Piste – oder einfach eine Möglichkeit die A und B verbindet ? Unglaublich was hier abging. Lkw an Lkw und sie fuhren Slalom, damit sie die bis zu 80 cm tiefen und 1 Meter langen Schlaglöchern im Schneckentempo umfahren können. Wir mittendrin. Überall Staub und Dieselgeruch – dass bei 28 °. Der Hammer.. Wir also schön auf den schmalen „Kronen“ zwischen den Schlaglöchern – eben auch im Slalom durch.
Am Ende des “A nach B” Wegs – machte ich das Foto – aber leider war dort die Straße schon wieder schön. Nun gut – wieder was gelernt. Übrigens – das Sicherheitstraining vor der Abfahrt bei Alex Werner war eine sehr gute Vorbereitung. Hier konnte ich bislang alles anwenden. Lenker drücken, links – rechts. Ausweichen, langsam fahren im Stand – bei 80 km/h – Slalom, Zielbremsung usw. Danke Alex !!!
Wir fuhren auf den Ort Ishim zu. Hatten jetzt über 620 km hinter uns. Also – suchten wir uns ein Hotel. Dank Navi und der SMS Beschreibung von Bernd aus Schwerte, hatten wir es schnell gefunden. An einer Ampel blubberte es hinter mir. Upps – ne Harley, dachte ich. Plötzlich schauten mich zwei bernsteinfarbene Augen an. „May i help you?“ hörte ich.
Wem diese Augen gehörten und was eine Autowaschanlage mit „You want a massage“ zutun hat – dass erfahrt Ihr bei den Kollegen der Ruhr Nachrichten Schwerte. Ich habe versprochen ihnen einen Bericht zu schicken. Mal kurz vorbeugend: Es ist ein Gefallen, mehr nicht! Das macht man unter Kollegen so. Also – demnächst die Geschichte online hier.
Die RN Kollegen haben nun den Artikel exklusiv veröffentlicht – hier also meiner “Nachgereicht”.
626 km von Cheylabinsk nach Ishim – Staub, Diesel, Hitze, Rüttelstreckckcke – wir waren müde. Andreas folgte seinem Navi – ich ihm. An einer Ampel schauten mich zwei bernsteinfarbene Augen an. „May i help you?“. Sein Name war Maxim, ein 28jähriger Russe auf seiner Harley. Er zeigte uns das gesuchte Hotel. Ein Plattenbau sondergleichen. Nicht nur das einzige Hotel am Platze – sondern auch teuer. Nach einem kurzen Gespräch mit Andreas fuhr er weg und kam Minuten später wieder. Er hatte uns eine Bleibe organisiert, in einer Autowaschanlage. Das Business lohnt sich. Jedes Auto hier hat die gleiche Tarnfarbe – einen satten Sandton. 1000 Rubel – also 25 Euro – allerdings ohne Frühstück. Maxim fragte ob wir Hunger hätten ? Natürlich hatten wir. Also bot er an loszufahren um etwas zu besorgen. Er kam mit Bier, Hähnchenteilen und Brot zurück und lud uns ein – er wollte keinen Rubel, wir waren seine Gäste an einer staubigen Straße auf einer Holzbank.
Da saßen wir nun und aßen. Ein deutsch/englisch/russisches Gespräch begann. Er fand die Idee mit dem Bike nach Vietnam zu fahren „ cracy“ – er selbst hat sein Land nie verlassen, träumte aber von einer Reise nach Deutschland. Vielleicht eines Tages – Andreas und ich haben ihn dazu eingeladen.
Es war 20 Uhr. Wir waren seit fast 12 Stunden auf den Bikes. Aber – der Tag war noch nicht vorbei. Die Autowaschanlage florierte auch um diese Uhrzeit. Wir dürfen erst um 0:00 Uhr „parken“. Hätten die Bikes auch vor der Tür stehen lassen können –aber „Nijet – die Verlockung für die Russen wäre zu groß. Also warten, Bier trinken und quatschen. Hin und wieder fuhr ein „Moskwitsch“ – eine fette Nobelkarosse vor. Ein Mann stieg aus – ging durch einen Seiteneingang, zwei kamen raus und stiegen ein. Das wiederholte sich 3 x. Einmal kam eine junge Russin dazu. Lange Beine, lange Haare – superschlank auf Highheels. Eine Kunst auf diesen Stein/Geröllwegen überhaupt zu gehen.
Ich fragte Maxim was das soll ? Er lächelte nur und sagte: „Thats friends“ – OK … dann ist das so.
Wir schleppten derweil unsere Sachen von den Bikes in den zweiten Stock. Die Zimmer lagen direkt über der Waschanlage. Typische russische Einrichtung, riesiges Bett – mittig davor an der Wand ein Flat TV. Dennoch irgendwie komisch. Kurz das Gesicht gewaschen – leider nur kaltes Wasser – schnell aufs Klo – leider ohne Licht – schnell wieder runter – vielleicht können wir vorher „parken“ – leider Nijet.
Zwei Stunden später waren wir beim russischen Whiskey. Ich holte aus meinem Zimmer Zigaretten. Auf dem Weg nach oben kam mir ein Mädel entgegen, schlang, lächelnd und scheinbar frisch geduscht. Ich roch wie ein Iltis. „ You want a massage?“ Der Gedanke war verlockend, hätte ich sehr gut nach 626 km gebrauchen können. Aber ich bin dem nicht erlegen aus selbstverständlichen Gründen. Wieder unten angekommen – die ganze Packung “Russendisco” an der Waschanlage. Endspurt. Volle Pulle „Chery Chery Lady“ von Modern Talking. Unglaublich. Maxim erzählte mir, dass Dieter Bohlen Kult sei in Russland – ich ihm, dass ich ihn schon mal getroffen habe. Das Leuchten in seinen bernsteinfarbenen Augen hätte ihr sehen sollen. Es war 0 Uhr. Dann ging alles sehr schnell – die Bikes geparkt – ab aufs Zimmer. Doch wir hatten die Rechnung ohne den Chef gemacht. Er lud uns ein mit ihm „and Friends“ die Banja zu besuchen. Die Banja ist die russische Sauna. Dazu gäbe es „Free Drinks“ – Nijet Nijet !! Ab ins große Bett, Augen zu und Gute Nacht.
Mit all diesen Gedanken schlief ich ein – mitten in Russland, 5.097 km weit weg von Schwerte. Ein Drittel der Strecke ist geschafft. Morgen geht’s weiter.
Bis denne – Lothar
Andreas Hülsmann, Schwerte, Vietnam, Way to Huyen