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Mein Name ist Lothar A. Baltrusch. Seit 2009 habe ich ein Patenkind in Vietnam: Thi Thao Huyen Pham. Anfang Mai 2013 bin ich durch 8 Länder gefahren über 15.000 km weit um sie zu besuchen. Hier meine Erlebnisse.

Kategorie: Gedanken

Tag 48 – Gedanken

4. Juli 2013 Dien Bien Puh (Vietnam) Gedanken 0

Jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, da stell ich mir tatsächlich die Frage: „ Welchen Sinn hat mein Leben?“ Leute, keine Angst – ich schreibe jetzt nicht den üblichen Kram. Vielmehr geht es mir um den „Moment des Seins“.

Ich sitze hier, bei Regen an einer belebten Kreuzung in Dien Bien, trinke Tee, der mir geschenkt wurde. Menschen haben das Ergebnis ihrer Landarbeit auf die Straße gelegt. Mofas und Autos, die vorbeifahren, spritzen Fontainen aus den Pfützen auf das Grünzeug. Es ist völlig egal ob das passiert oder nicht. Hin und wieder bleibt jemand stehen und kauft etwas.

Ich atme tief ein, ziehe die lauwarme Regenluft bis in den letzten Winkel meiner Lunge. Ich atme aus. Die Leute scheinen in sich zu ruhen. Nichts bringt sie aus dem Gleichgewicht – es ist eine Aufreihung der Momente, Momente der Ruhe.

Probleme werden sie auch haben – aber ich glaube, sie „lagern“ sie anders. Niemand kann den Regen abstellen, von daher ist er kein zentrales Thema. Er ist da und gut ! Niemand beschwert sich über die nasse Kleidung oder dass das Haar nicht liegt. Die Frisur ist so egal wie das Wetter.

Ortswechsel.

Ich schlendere durch den Regen die Straße hinunter. Mofas überholen mich, Autos hupen. Einige Leute grüßen mich schon. Winke Winke – Smile – Xin Chao ! Bin froh, nicht mit dem Bike hier zu sein. Sie sehen „mich“ und nicht den Typen auf dem „Monsterbike“. Der Regen wird stärker, ich bin völlig durch. Ich brauche Zigaretten, gehe über die Straße –quer durch Pfützen. Das hab ich als kleines Kind das letzte Mal gemacht. Vorgestern habe ich in einem Laden „Marlboro“ gekauft. Kaum habe ich diesen erreicht, springt die Frau von ihrem Stuhl auf, lächelt mich an „Xin Chao“ und läuft zu ihrem Wohnzimmerschrank.

Alle Läden hier sind recht schmal, zur Straße hin offen. Eine Art Garagenrolltor wird nach Feierabend runtergelassen. Das ist die einzige Trennung zur Außenwelt, der einzige Schutz. Oft ist die Auswahl in diesen „privaten Läden“ sehr spärlich, überschaubar. Man hat von der Straße aus einen „Durchblick“ bis in ihr Privatbereich, oft schlafen, leben und lieben die Menschen dort. Unerlässlich, das Fernsehgerät, 20 Stunden an, mindestens.

Die Frau kommt strahlend zurück, mit zwei Schachteln Marlboro. Sie hat sich die Marke gemerkt und wusste sofort was ich wollte – den Moment vom letzten Mal. „Kaffee ?“ – ich sage Ja. Jetzt sitze ich hier, trinke Kaffee, sie sitzt zwei Meter neben mir in ihrem Reich und macht Handarbeit.

Der Regen trommelt auf die Blechdächer, Mofas fahren durch Pfützen, hinterlassen kurz eine Spur. Einen Augenblick später schließt sich die Wasserdecke und feine Luftblasen quellen hervor. Ein Moment der Ruhe, der Sinn macht. Alles passiert gleichzeitig aber konzentriert man sich auf das Wesentliche, ist das, was man bemerkt, der Moment des Seins.

Tag 34 – 19.06.2013 – Jining, Ulanqab (China) – Gedanken

18. Juni 2013 Tag 34 - 19.06.2013 – Jining, Ulanqab (China) - Gedanken Gedanken, Patenkind(er), Presse, Unterstützer, Vietnam-Reise 2013 2

Der Morgen erwacht. Öffne die Augen in  einem übergroßen Hotelbett. Mindestens 4 Leute finden unter dem schweren Bettbezug bequem Platz. Der Raum ist edel eingerichtet – ein Flat an der Wand, Spiegel, dicker Teppich aber es riecht muffig. Es ist 5:00 Uhr. Die Sonne berührt mit ihren Strahlen zärtlich die Stadt. Die ersten Menschen sind unterwegs. Ich sitze hier, im Hotel, trinke Jasmintee und schaue aus dem offenen Fenster des 7. Stocks.

Gegenüber, vor dem Shopping Center, stehen die ersten Leute vor einer großen Leinwand und machen zu chinesischer Musik Frühgymnastik. Die ersten „Tucktucks“ sind unterwegs, das Hupkonzert beginnt. Heute werden wir die 10.000 km Marke knacken und das schon nach 33 Kilometern. Jetzt bin ich so weit von zu Hause weg und es durchfliest mich ein seltsames Gefühl. Meter für Meter, Tag für Tag nimmt die Entfernung zu. Meter für Meter komme ich Huyen näher. Ich weiß, dass sie sich freut. Das ganze Dorf ist voller Erwartung. Dabei gilt EUCH in erster Linie der Dank. Ohne Eure Unterstützung, ohne das Geld, wäre ich nicht hier, hätte es „Way to Huyen“ nie gegeben. Ich bin nur „Mittel zum Zweck“ – einfach nur das x, durch das eine Verbindung entstanden ist. Eine Verbindung zu über 260 Kindern in Vietnam. Wie werden sie mich empfangen ? Wenn ich an die vielen Menschen unterwegs denke – egal wo wir waren, wo wir standen – immer wieder wurden wir mit einem Lächeln begrüßt, wurden Fotos gemacht, wir wurden rumgereicht. Und das – obwohl wir nichts gemacht haben. Wie wird es in Huyens Dorf sein ?

Ich möchte eigentlich nicht darüber nachdenken – aber der Gedanke kommt immer wieder.

Über 1 ½ Jahre hat die Planung gedauert – in wenigen Tagen stehe ich vor dem Ziel. Das seltsame Gefühl zieht wieder auf.

Tag 26 – 11.06.2013 – Besuch bei World Vision – Toligoit ADP in Ulaanbaator

11. Juni 2013 Ulaanbaator / Mongolei Gedanken, Patenkind(er), Presse, Unterstützer, Vietnam-Reise 2013 7

Ich habe damit gerechnet. Dieser Besuch ging mir ans Herz. Aber ich habe auch das Funkeln in den Augen der Kinder gesehen und auch durch die Infos der Mitarbeiter – die Hoffnung gesehen. Dieses Projekt – Toligoit – wird ausschließlich von Paten aus Deutschland betreut. Es ist eins von vielen in der Umgebung von Ulaanbaator. 1901 Kinder sind registriert, 1310 bekommen Unterstützung aus meinem Heimatland. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Im Winter leben die Menschen unter der Straße in der Kanalisation, der einzige Ort, der Wärme verspricht. Wir haben die Ärmsten der Armen besucht. Sie leben von dem, was die Anderen wegschmeißen – die Müllkippe ist ihr zu Hause und ihr Arbeitsplatz. „Lieber hier etwas finden und verkaufen, als anderen Menschen was zu klauen“, sagte mir der 9 jähriger Munkhzorig (ihr seht ihn auf den Bildern). Regelmäßig kommt der “Mobile Doc” im World Vision Transit. Er untersucht die „Dump Childs“ – die Müllkinder – kostenlos. Viele von ihnen leiden an Atemsbeschwerden oder an Hautausschlag. Die Sterberate ist hoch. Die folgenden Bilder – ohne Kommentar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der BVB hat mir vor langer Zeit eine Tasche mit Sportsachen gegeben. Diese verteilten wir unter den Kindern. Die Augen der Kinder leuchteten und sie bedankten sich mit Gesten. Ein unbeschreiblicher Moment für mich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anschließend ging es in eine Siedlung. Dort besuchten wir einen Vater mit seinen zwei Kindern. Der Junge arbeitet auf dem „Black Market“ – auf dem Schwarzmarkt. Das Mädchen versucht sich zu Hause. Die Mutter der Kinder ist vor einigen Monaten gestorben, der Vater ist schwer krank. Vor wenigen Wochen brannte dann auch noch sein Ger ab, World Vision organisierte den Neuaufbau. Als wir wieder im WV-Van saßen,  sah ich die BVB-Tasche. Ich ging noch einmal zu ihnen. Der Junge bekam Turnschuhe, dem Vater gab ich drei dicke Trikots. Er bedanke sich mit Worten, die ich nicht verstand, er nahm meine Hände und küsste sie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es ging zu einem Kindergarten, quer durch das Armenviertel Ulaanbaators. Hier in diesem Kinderhort, werden Kids zwischen 3 und 15 Jahren betreut, während ihre Eltern draußen das Kultivieren und den Anbau der Felder beigebracht bekommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Kinder haben für uns gemalt. Es gab Herzchen mit „I love you“ auf mongolisch und liebevoll gebastelte Sachen. Wir lungerten mit den Kids auf dem Boden rum und „sprachen“ eine Sprache.

 

 

 

 

 

 

Danach wurde es „musikalisch“. In einer Schule für junge Erwachsene bekamen wir ein Konzert geboten. In Tracht und original Instrumenten spielten sie uns etwas vor. Ich habe auch versucht auf der „Pferdekopfgeige“ zu spielen – fürs Foto war es OK. Letzte Station war eine Schule für Näherinnen. Hier lernen sie das Handwerk und können später davon leben.

Der Tag war eine Achterbahn. Zwischen „Herzbluten“ und „Herzhüpfen“ war alles dabei. Er war sehr berührend.

Noch einen Satz zu den „Dump Childs“. Munkhzorig hat es mir angetan. Ich werde vom “Way to Huyen” Konto 500,- Euro nehmen und diese zur Verfügung stellen. Hans-Jürgen gibt noch mal 250,- dazu. Dieses Geld ist für die Müllkinder. Das soll einen Start ermöglichen !

Wir können – das heißt ich kann – mich nicht einfach auf mein Bike setzen und dann Richtung China fahren und das alles hinter mir lassen. Wir werden einen Tag länger im Oasis bleiben. Donnerstag geht’s also erst Richtung China. Melde mich also Morgen wieder …

In Gedanken … Lothar

Tag 18 – 03.06.2013 – Kansk (Russland) – Budagovo 408 km

Geschlafen wie ein Murmeltier. Morgens stellte sich raus – wir waren in einer Art „Sanatorium“ – zumindest schaute es bei Tageslicht so aus. Viele Menschen im Bademantel – reges Treiben, ganz anders als wir ankamen. Russisches Frühstück – Gulasch, Plinitschkies (Pfannkuchen mit Creme), ein warmer Pudding und Kaffee. Egal, macht satt und „wir sind in einer anderen Welt!“.

 
Draußen noch schnell ein Bild – die Straßen faszinieren mich immer noch. Erste Gang – zur Tanke. Man achte auf die Zapfsäule. Es reicht wenn man die Literzahl sieht. Voll getankt für 900 Rubel. Das sind 22 Euro für 37 Liter ! In Deutschland wäre ich jetzt knapp 60 Euro los. Und ab Richtung Irkutsk.

 

 
Nicht viel passiert zwischendurch. Die übliche Abwechselung. Mal hier gehalten, mal da geschaut – einfach genial. Und Russland hört nicht auf. Plötzlich doch. Plötzlich heißt es Piste fahren. Das Bild zeigt erste den Anfang. Andreas hat ein Video gedreht – demnächst hier wenn mal wieder WiFi ist. (Übrigens – wenn wir kein Wifi haben, schicken wir die Daten per Satanlage. Danke an dieser Stelle Gesat. Klappt einwandfrei)

 

 Dann war sie wieder da, die Straße. Und es sind ja auch nur noch ein paar Kilometer. Überall wo wir halten, werden wir bestaunt. Geben immer Auskunft – woher – wohin. Und heute werden wir noch eine historische Marke knacken. Die Hälfte der Strecke. 7500 km !!! Leider war dieser Punkt genau auf einer 10 km langen Schotterpiste. Lkw kamen uns entgegen und der Dreck und Fahrstaub wehte uns genau ins Gesicht. Am Ende dieser Strecke fanden wir dann eine Gastinika. Staubiger war nicht einmal der Wilde Westen.

 

Kilometerstand gesamt: 7.510 km
Ach ja – wir haben nun 7 Stunden Zeitunterschied (plus).
Morgen geht es nach Irkutsk – 417 km !! Mehr – wenn WiFi – „Hust und Röchel“ … Lothar

Tag 16 – 01.06.2013 – Kurz vor Novosibirsk (Russland) – Tyazhin (Russland) 543 km

Die letzte „Gastiniza“ war sehr sauber – obwohl es eine Truckerabsteige war. Das Frühstück war spärlich aber es machte satt. Wenn man fremde Länder bereist, sollte man bereit sein, seinen Anspruch zu ändern. So ist das nun einmal – überall auf der Welt.

 

Bevor es auf den Highway ging, ging es in die Knie. Ölkontrolle, Reifendruck – Kette schmieren. Dann auf die Straße. Sie trug uns immer tiefer ins russische Herz. Es war kalt. Die Temperatur ging nicht über 8° aber wenigstens schien die Sonne. 150 km hinter Novosibirsk fanden wir – n Kaffee und n Tee wären nicht schlecht, Wärme von innen. Wir fuhren auf eine abgewrackte Tanke mit einer Bretterbude, die sich Cafe schimpfte. Draußen hing Weihnachtsdekoration. Innen war es warm, ein Fernseher lief, ein Mann saß auf einem Stuhl. Er sprang auf und bot uns sofort einen Platz an. Wir bestellten Kaffee und Tee.

 

Neben dem „Anschluss zur Welt“ stand ein Tablett mit Piroggen – davon auch bitte Zwei. Was sofort ins Auge fiel, war der riesige Kühlschrank. Voll mit Getränken – wahrscheinlich sein ganzer Stolz. Wie lange reichen die Getränke wohl ? Bestimmt ewig, denn hier hat er nicht gerade den Hammerumsatz. Sein Name war Fauzyllo, er war der Chef dieser letzten Oase. Nicht mehr lange, dann werden am sibirischen Highway nur noch feine, saubere Futterstellen diverser Ketten stehen. Schade eigentlich.

 

Fauzyllos erzählte von Deutschland. Er war in Frankfurt / Oder beim russischen Militär. Er sei verheiratet, hat 5 Kinder und verdiene den Lebensunterhalt hier in dem Cafe. Nach 10 Minuten fragte er ob wir Schaschlik essen möchten. Natürlich wollten wir – guter Geschäftsmann! Bezahlt haben wir für 2 Tee und 2 Kaffee plus 2 Piroggen und 2 Schaschlik 470 Rubel – also 11,50 Euro !!! Bestimmt sein Tagesumsatz.

 

Wir machten ein paar Bilder. Mir fiel auf, er hatte aus vielen Teilen der Welt Andenken an der Wand. Geldscheine. Leider hatte ich keine Euroscheine, also gab ich ihm einen „Way to Huyen“ Aufkleber – denn er hatte mittlerweile schon mitbekommen, wieso wir unterwegs waren. Er freute sich tierisch und klebte ihn über die Tür mit dem dreckigen Tuch, das den Eingang zu seiner Küche verbarg.

Danach ging es weiter Richtung Krasnojarsk. Wir fuhren durch ganz unterschiedliche Landstriche. Mal viel Tannen,- mal Birkenwald, mal Felder, immer auf sehr guten Straßen. Seit mehr als 14 Tage bin ich nun im „Training“ – habe viele Untergründe befahren und auch so manches Manöver bewältigt – und jetzt war es Zeit, dies alles zusammen anzuwenden. Wer die B236 von Schwerte-Ergste nach Iserlohn kennt, die für Motorradfahrer immer wieder gesperrt ist, der stelle sich diese doppelt so breit, doppelt so „wedelbar“, einfach doppelt so schön vor. 30 Kilometer nur für Andreas und mich. Vor gut 14 Tagen wäre ich die Kurven so gerade gefahren, da hätte ich ein volles Glas Wasser bis ans Ende gebracht – jetzt wäre im Glas nur noch ein Schluck. Es machte solch einen Bock. Und ich habe mich weder gezwungen gefühlt noch bin ich an meine Grenzen gegangen – nur an das bislang gelernte und niemals mit zu hoher Geschwindigkeit. Es zahlt sich aus, ein über 6000 Kilometer Training auf dem Bike zumachen, bevor man den Berg hinauf und dann wieder hinab wedelt.
Endstation war dann die Gastiniza New Orient. Sauber – einfach – billig und super Essen. Morgen geht’s in Richtung Irkutsk.
Kilometerstand gesamt: 6.542 km.

Einen schönen Abend – ach ja … Morgen, am 2. Juni, hat Andreas Geburtstag. Denke er würde sich über Glückwünsche aus „Germania“ freuen.
Lothar